Wo befindet sich der deutsche Wohnungsmarkt?
Die stark gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise sind für alle, aber besonders für niedrige und mittlere Einkommen eine starke Belastung. Wohnen und Essen sind Grundbedürfnisse. Daher ist der große Mangel an bezahlbaren Wohnungen ein gesellschaftliches und ein politisches Problem.
Der Bestand an Wohnungen hat sich von 33,8 Millionen in 1990 auf 42,8 Millionen in 2020 erhöht. Im gleichen Zeitraum ist die Bevölkerung von 79,4 Millionen (1990) auf ca. 83,8 Millionen (heute) gewachsen. Per Saldo sollte also die Anzahl an neugebauten Wohnungen theoretisch ausreichen, aber aufgrund der sich ändernden gesellschaftlichen Verhältnisse, z.B. durch erheblich mehr Singlehaushalte, Landflucht und die gestiegene durchschnittliche Quadratmeteranzahl pro Kopf, ergibt sich dennoch ein Minus.
Die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf ist seit 1991 von 34,9 m² auf 47,4 m² (2020) gestiegen. Das entspricht einer Steigerung von 35,8%. Ein wesentlicher Grund ist die stark gestiegene Anzahl der Singlehaushalte im gleichen Zeitraum von 11,4 Millionen auf 16,5 Millionen. Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist von der sehr heterogenen, regionalen Wirtschaftsentwicklung geprägt. Während die Bevölkerung in den großen Ballungsräumen weiter steigt, gab es demgegenüber erhebliche Bevölkerungsverluste in strukturschwachen ländlich-peripheren Regionen. Der Anteil der Landbevölkerung ist auf dem niedrigsten Stand seit 1871 gefallen. Als Ergebnis gibt es in Deutschland trotz des generellen Mangels Regionen mit leerstehenden Wohnungen. Damit erklärt sich trotz der Steigerungen von 9 Millionen Wohnungen seit 1990 der aktuelle Wohnungsmangel in den großen Metropolen und Ballungsgebieten.
Wie entwickelt sich der Neubau?
Nach Einschätzung der Politik und Bauwirtschaft müssten in Deutschland jährlich 350.000 bis 400.000 Wohnungen fertiggestellt werden, um die große Nachfrage zu befriedigen und die Wohnungsnot in vielen deutschen Städten zu bekämpfen. In den Jahren 1994 bis 1998 wurde dieses Ziel erreicht. Jährlich wurden damals zwischen 500.000 und 600.000 Wohnungen fertiggestellt. In den Folgejahren sanken die Fertigstellungen von Jahr zu Jahr, bis 2009 und 2010 der Tiefpunkt erreicht wurde. In diesen beiden Jahren wurden gerade einmal jeweils ca. 160.000 Wohnungen gebaut. Ab 2011 stieg die Zahl der fertiggestellten Wohnungen dann wieder kontinuierlich an. 2021 war das erste Jahr, das diesen Trend wieder gebrochen hat und in dem weniger Wohnungen als im Vorjahr gebaut wurden. Gegenüber 2020 wurden 4,2% (entspricht 12.983) weniger Wohnungen fertiggestellt. Die Zahl blieb mit 293.393 sogar unter de 300.000-Marke und war etwa auf gleichem Niveau wie die fertiggestellten Wohnungen in 2019. Trotz erhöhter Standards sollte es auch heutzutage eigentlich möglich sein, an die Fertigstellungszahlen der neunziger Jahre anzuknüpfen und mindestens 400.000 Wohnungen jährlich zu bauen.
Die Gründe für die aktuell rückläufigen Baufertigstellungen sind vielfältig. Lieferengpässe, Rohstoffknappheit, deutliche Preissteigerungen als Folge einer erhöhten Nachfrage nach Baustoffen und Personalmangel im Baugewerbe sorgen dafür, dass erteilte Baugenehmigungen vermehrt in der Schublade landen. In 2021 war der sogenannte Bauüberhang mit knapp 847.000 genehmigten, aber nicht im Bau befindlichen Wohnungen auf dem höchsten Stand seit 1996. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie geht daher davon aus, dass das von der Bundesregierung gesetzte Ziel von 400.000 Wohnungen jährlich in diesem und auch im nächsten Jahr verfehlt werden wird. Man rechnet dort mit maximal 320.000 fertiggestellten Wohnungen. Dadurch steigt der Druck auf die Bestandswohnungen.
Experten fordern Umdenken im Wohnungsbau
Bei einem Bestand von aktuell ca. 43 Millionen Wohnungen und einer optimistisch unterstellten Nutzungsdauer von 150 Jahren (durch Sanierungen und Renovierungen) gibt es langfristig einen Ersatzbedarf von fast 300.000 Wohnungen. Insofern kann der Mangel ca. 1.000.000 fehlender Wohnungen unter Berücksichtigung einer zunehmenden Bevölkerung nur bei rund 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr beseitigt werden. Bis 2040 könnten durch Aufstockungen und Erweiterungen von Bestandsimmobilien sowie durch Redevelopment, d.h. den Umbau von z.B. Büros und Parkhäusern zu Wohnraum, ca. 4,3 Millionen Wohnungen geschaffen werden. Dann wären 300.000 neue Wohnungen pro Jahr ausreichend. Diese Zahl ist angesichts der vorhandenen Baukapazitäten realistisch erreichbar und wurde in 2020 auch erreicht.
Das Angebot bleibt also weiterhin knapp und die Nachfrage steigt. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs sind mehr als 600.000 Menschen in Deutschland als Flüchtlinge registriert worden. Das ist nur die offizielle Zahl. Diese Menschen benötigen Wohnraum. Die geburtsstarken Jahrgänge gehen jetzt nach und nach in Rente, so dass der bereits hohe Fachkräftemangel weiter steigt. Es werden voraussichtlich weitere Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden müssen, damit die Wirtschaft aufrechterhalten werden kann. Deshalb wird die Bevölkerung weiter wachsen. Auch dadurch wird die Nachfrage nach Wohnraum weiter steigen. Die hohe und voraussichtlich noch steigende Nachfrage führt nicht nur zu steigenden Immobilienpreisen, sondern auch zu höheren Mieten.
Wie wirken sich die Inflation und die gestiegenen Zinsen auf Angebot und Nachfrage bei deutschen Wohnimmobilien aus und wie konnte es zu einer so schnell und stark steigenden Inflation kommen?
Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Europäische Zentralbank (EZB). Nach Jahren stabiler Preise stieg die Inflation ab dem zweiten Quartal 2021 von etwa 1% auf 8% rasant an. Ökonomen erwarten für dieses Jahr eine Inflationsrate von 6% bis 7% und in den nächsten beiden Jahren von etwa 4%. Treiber der Inflation sind in erster Linie die gestiegenen Energiepreise.
Die EZB steht wegen ihrer lange anhaltenden lockeren Geldpolitik in der Kritik. Aus Angst vor Deflation fluteten alle Notenbanken in Europa und Nordamerika ihre Volkswirtschaften nach der Lehmann-Pleite mit Liquidität. Die Leitzinsen fielen auf Null und darunter. Es wurden in einem noch nie dagewesenen Billionenumfang Staatsanleihen angekauft. Damit legten die Notenbanken das Fundament für die aktuellen Preissteigerungen. Denn ohne die Geldschwemme würden höhere Energiepreise umgehend zu sinkenden Preisen bei anderen Gütern und Dienstleistungen führen. So gibt es aber sogenannte Überwälzungsspielräume, die besonders von den Öl- und Gasversorgern genutzt werden, um die höheren Einkaufspreise voll an die Kunden durchzureichen und teilweise noch die eigene Marge zu erhöhen. Wegen des Krieges in der Ukraine ist Gas knapp, Öl jedoch nicht. Dennoch hat auch der Ölpreis stark angezogen. Staatliche Rabattaktionen und Subventionen verfehlen meistens ihr Ziel und sorgen manchmal sogar für das Gegenteil. Es gilt, die gleichen Fehler wie während der Ölkrise in den 70er Jahren zu vermeiden.
Alles bereits dagewesen?
Seit Ende der 60er Jahre kam es zu anhaltenden politischen Unruhen im Nahen Osten. Im Herbst 1973 griffen Ägypten und Syrien Israel an. Mit US-amerikanischer Unterstützung konnte Israel die Angriffe jedoch abwehren. Die OPEC-Staaten warfen den westlichen Industrienationen eine einseitige Parteinahme zugunsten Israels vor und schränkten daraufhin die Ölförderung ein. Zudem wurde ein Embargo gegen die USA und die Niederlande (Rotterdam ist einer der wichtigsten Umschlagplätze für Öl) verhängt. In der Folge stieg der Ölpreis um das Vierfache. Dies war ein schwerer Schlag für die westlichen Industrieländer. Deutschland importierte damals den Großteil des benötigten Erdöls aus den arabischen Staaten. Zudem stand der Winter vor der Tür. Dementsprechend war die Nachfrage nicht nur in der Industrie, sondern auch in den Haushalten groß. Als Reaktion auf die Ölknappheit wurde in Deutschland ein Tempolimit und ein Sonntagsfahrverbot ausgesprochen. Viele Menschen verloren ihre Arbeit, die Arbeitslosenquote stieg auf über 10%. Das durchschnittliche Wachstum betrug nur noch ca. 1,9%. Um die Abhängigkeit von Ölimporten zu verkleinern, sollten neue Energiequellen erschlossen werden. Unter anderem wurden neue Atomkraftwerke gebaut.
Eine ähnliche Diskussion, wenn es auch diesmal nicht um Öl, sondern um Gas geht, entspannt sich heute. Fahrverbote, Tempolimits und auch der in den vergangenen Jahren ins Stocken gekommene Ausbau regenerativer Energiequellen, wie Solar- und Windkraftanlagen, sind wieder auf dem Tisch.
Aktuell kommen noch weitere Faktoren dazu!
Der Ukraine-Krieg fällt mit durch die Pandemie bedingten Lieferkettenproblemen zusammen. Die Globalisierung ist beeinträchtigt. Die weltweite Arbeitsteilung nahm jahrelang zu und sorgte für stabile und niedrige Preise. Diese Entwicklung stagniert zumindest. Angesichts der hohen Inflation fordern Arbeitnehmer höhere Löhne. Die Gefahr der gefürchteten Lohn-Preis-Spirale wächst.
Ökonomen sehen in schnellen und starken Zinsanhebungen die einzige Möglichkeit, die Inflation einzudämmen und auch die Lohn-Preis-Spirale im Keim zu ersticken. Der Preis dafür wäre zwar eine Rezession, die aber aus Sicht der Experten verkraftbar wäre. Die Zentralbanken und auch die EZB werden handeln müssen. Je später eingegriffen wird, desto länger dauert die folgende Anpassung. Das liegt auch am Vertrauen der Wirtschaft und der Bevölkerung in eine Notenbank. Die Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital. Möglicherweise hat die EZB den Zeitpunkt der verbalen Intervention verpasst. Die Inflation liegt schon zu lange über dem selbst genannten Inflationsziel von zwei Prozent pro Jahr. Der Leitzins hätte schon wie in den USA erhöht werden sollen.
Das gestiegene Zinsniveau zeigt sich auch bei Wohnungsbaukrediten. Allerdings zeigt sich ein Rückblick auch hier, dass die Zinsen historisch noch relativ gering sind. Es gab ganz andere Zeiten. Darlehen mit einer 10jährigen Laufzeit kosteten Anfang der 70er Jahre bis zu 11,5%.
Nach einer leichten Absenkung auf rund 9.5% Anfang der Achtziger fielen die Zinsen Mitte der Achtziger auf rund 7,5%. Anfang der Neunziger verlangten die Banken für ein Immobiliendarlehen jedoch wieder 9% und mehr. Die Weltwirtschafts- und Bankenkrise ab 2008 ließ die Zinsen dann stark sinken. 2010 bewegten sich die Hypothekenzinsen bei etwa 3,5% und sanken im Laufe der Jahre immer weiter. Anfang 2020 lagen die Zinsen unter 1%. Im Mai 2021 mussten Häuslebauer schon etwas über 1% bezahlen. Seit dem Juni 2022 liegen die Zinsen nun wieder bei ca. 3%.
Steigen die Immobilienpreise weiter?
Steigende Zinsen führen perspektivisch dazu, dass sich weniger Menschen Eigentum leisten können. Dadurch sinkt die Nachfrage und die Preissteigerung flacht ab. Im Ergebnis werden sich Immobilien nicht mehr so schnell und lukrativ durch Aufteilung und den Verkauf der einzelnen Wohnungen vermarkten lassen. Auf den Verkauf von ganzen Objekten an institutionelle Investoren ist der Einfluss steigender Zinsen dagegen erheblich geringer. Zu differenzieren ist auch zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern. Bei den Einfamilienhäusern sind die Preise, anders als im Geschosswohnungsbau, auch in diesem Jahr nahezu überall weiter gestiegen. Das gilt auch für Neubauten von Einfamilienhäusern.
Dies vorausgeschickt ist nach der Darstellung der Bevölkerungsentwicklung und Nachfrage nach Wohnungen sowie der Inflations- und Zinsentwicklung das Angebot genauer zu analysieren. Die Kaufpreise für Bestandswohnungen sind in den vergangenen Jahren je nach Region unterschiedlich stark gestiegen. In den Ballungsräumen war der Preisanstieg hoch. Aktuell lässt die Dynamik nach. Die Kaufpreise und Mieten von Bestandswohnungen liegen aber deutlich unter denen von Neubauwohnungen. Dort sind die Erstellungspreise so stark gestiegen, dass sich immer weniger Projekte noch rechnen. Das liegt auch an den gestiegenen Grundstückspreise. Aktuell schlagen aber die angesprungenen Materialpreise stärker zu Buche. Die Preissteigerungen werden durch mehrere Faktoren verursacht. Die anhaltende Corona-Pandemie führt weiterhin zu Unterbrechungen und Störungen der Lieferketten. Die gegenüber 2021 massiv gestiegenen Produktions- und Transportkosten, insbesondere durch die hohen Energiekosten, befeuern ebenfalls die Preise. Kurzfristig führt auch der Krieg in der Ukraine zu Preissteigerungen. Die Preise waren zuletzt so stark gestiegen wie seit 50 Jahren nicht mehr und lagen im Mai 17,6% höher als im Vorjahr. Die Gründe liegen in der hohen Nachfrage und knappen, teuren Materialien. Besonders stark waren die Preise bei Metallbauarbeiten (+23,6%) und Betonarbeiten (23%) gestiegen. Aber auch Erd- und Mauerarbeiten mussten einen Anstieg von ca. 15% und ca. 13% verzeichnen. Angebotsabgaben von Bauunternehmen sind mit großen Risiken verbunden, da möglicherweise die ursprüngliche Kalkulation zu Baubeginn überholt ist und die Unternehmen auf den gestiegenen Kosten sitzen bleiben. Ein weiterer wesentlicher Preistreiber sind auch höhere Löhne für Handwerker. In der Summe scheint aktuell das Ende der Fahnenstange erreicht. Bereits begonnene Projekte werden noch fertig gestellt, viele neue Projekte trotz Baugenehmigung jedoch nicht mehr begonnen. Dadurch wird die Zahl der Neubauwohnungen in diesem Jahr voraussichtlich zum zweiten Mal in Folge sinken. Das könnte zumindest zu einer Entspannung bei den lange voll ausgelasteten Baukapazitäten und den Baukosten führen.
Wie wirken sich die steigenden Kosten bei Baumaterialien und Löhnen aus?
Die Rahmenbedingungen für den Wohnungsneubau haben sich innerhalb kurzer Zeit eingetrübt. Beim Bestandswohnungsbau ist zu differenzieren. Gestiegene Zinsen betreffen sowohl den Neubau als auch den Bestand. Die erheblich gestiegenen Lohn- und Materialkosten belasten den Neubau aber wesentlich stärker als Sanierungen und Renovierungen. Außerdem ist die energetische Sanierung aufgrund der staatlichen Förderungen immer noch attraktiv. Durch Dachausbau, energetische Sanierung und aktives Management gibt es beim Bestandswohnungsbau noch ausreichend Möglichkeiten, um Objekte rentabler zu machen. Im Vergleich zu Neubauten sind Bestandswohnungen aktuell profitabler.
Quelle: IC Consulting, Sachwertexperten Sonderbeilage, Ausgabe Juli 2022