Mittlerweile sind wir seit über 30 Jahren in der Anlageberatung tätig. Wir haben es nicht überprüft, aber gefühlt haben wir in dieser Zeit noch nie solche extremen Wertveränderungen in Bezug auf die ‚Marktentwicklung‘ erleben müssen.
Die Aktienindizes notieren, ausgenommen Japan, alle auf Jahres-Tiefstständen. Die Zinsen sind deutlich nach oben geklettert. Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar seit Januar um 14 % verloren.
Noch im Juli hatten wir an gleicher Stelle vor einer ‚Bärenfalle‘ an den Aktienmärkten gewarnt und damit Recht behalten. Die Anstiege von Anfang Juli bis Mitte August waren nichts anderes als ein Zwischenhoch.
Die Inflation hat sich weiter beschleunigt und ist in Deutschland mit 10 % mittlerweile zweistellig. Die amerikanische Notenbank und die EZB haben mit Erhöhungen der Leitzinsen reagiert. Die Zeiten der Minuszinsen sind vorbei. International sind die Anleihe-Renditen wieder positiv. Bei einer deutschen Bundesanleihe mit 10-jähriger Laufzeit liegt die Rendite derzeit bei gut 2 %.
Bei der folgenden Einschätzung der Lage bleibt unberücksichtigt, ob Putin das Kriegsgeschehen nicht noch weiter eskalieren lässt, bis hin zu einem Atomschlag.
Erfahrene Ökonomen und Vermögensverwalter sagen, dass sie eine solche unübersichtliche Situation noch nie erlebt hätten.
Was die derzeitige wirtschaftliche Lage so schwierig und unüberschaubar macht, ist die Anhäufung der negativen Ereignisse:
- Corona-Pandemie mit der Folge von Lieferengpässen
- Ukraine-Krieg und geopolitische Risiken mit der Folge von Rohstoff- und Energieverknappung
- Inflation bedingt durch Nachfragebelebung, Angebotsverknappung und teure Energie in der Folge…
- Inflationsbekämpfung über Zinsanhebungen durch die Notenbanken
Das alles stellt auch gesunde Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Es heißt, die bestprognostizierbarste Rezession ever stehe uns bevor. Es ist wohl nur noch die Frage, wie tief diese ausfallen wird. Die Gründe sind augenscheinlich, liegen klar vor uns und sind für jeden nachvollziehbar.
Faktoren, die direkt die Unternehmensgewinne belasten:
- Produktionskosten steigen außergewöhnlich (teure Energie)
- steigende Zinsen erhöhen die Refinanzierungskosten der Unternehmen, Kredite werden teurer
- gleichzeitig führt die Teuerung zu einem Konsumrückgang, was zu Umsatzeinbußen bei den Unternehmen führt
In vielen Branchen wird dies zu einer Schrumpfung führen. Exzesse, die sich über Jahre hinweg in unserer Wohlstandsgesellschaft aufgebaut haben werden sich zurückbilden. Das betrifft vor allem gewisse Luxus-Segmente, die in Krisenzeiten verzichtbar sind.
Diese Gemengelage wird sich nicht von heute auf morgen auflösen. Wir werden noch einen starken Durchhaltewillen benötigen und auch für eine gewisse Zeit einen Wohlstandsverlust akzeptieren müssen.
Was bedeutet das Umfeld für uns Anleger, bzw. für Anlagestrategien?
Im Normalfall soll es gelingen, Geldanlagen über unterschiedliche Anlageklassen so zu streuen, dass dadurch eine Risikoreduzierung eintritt. Wenn dementsprechend eine Anlageform verliert, wird dies durch die positive Entwicklung einer anderen Anlageklasse ausgeglichen oder sogar überkompensiert. Soweit die Theorie.
Derzeit betrifft das Marktrisiko alle Anlageklassen gleichzeitig. D.h. die Anleger sind mit einem sogenannten ‚nicht diversifizierbaren Risiko‘ konfrontiert. Alle Anlageklassen verlieren. Der Streuungseffekt greift nicht. Man spricht dabei auch von einer hohen Korrelation (hohem Gleichlauf) dieser Anlageklassen.
Anlageklasse | Risiko | Tendenz |
Tagesgeld | Inflation | ⇓ |
Anleihen | steigende Zinsen | ⇓ |
Aktien | Rezessionsgefahr | ⇓ |
Immobilien(neu) | steigende Zinsen | ⇓ |
Gold | steigende Zinsen | ⇓ |
Wie geht es weiter?
- Ein großer Unsicherheitsfaktor ist und bleibt der Krieg in der Ukraine. Der weitere Verlauf ist auch nicht prognostizierbar und wird deshalb einen Aufschwung solange bremsen, solange ein Ende nicht absehbar ist, bzw. vor allem ein Atomwaffen-Einsatz nicht ausgeschlossen werden kann.
- Wieviel von dem was der Wirtschaft noch bevorsteht ist bereits in den aktuellen Kursen eingepreist? Eine Antwort scheitert daran, dass die Auswirkungen und die Rezessionstiefe heute noch nicht abschätzbar sind.
- Der Pessimismus für Aktien ist bereits hoch. Professionelle Investoren halten derzeit so wenig Aktien und so viel Bargeld wie nie zuvor. Ein eher positiver Indikator. Möglicherweise müssen aber noch mehr Anleger ‚kapitulieren‘.
- Die europäische Wirtschaft leidet am stärksten. Die Nähe zum Kriegsgebiet und die Abhängigkeit von teurer Energie sind zwei Gründe dafür. Hier wird allerdings die Chance bei der Kurserholung am größten sein. Interessant ist ein Blick auf den Chart mit dem Vergleich der Kurs-Indizes
(ohne Berücksichtigung der Dividenden) von Dax und S&P 500. Der Dax (ex Dividende) ist tatsächlich seit 22 Jahren nicht vorangekommen. Ein Trauerspiel.
- Positiv: Die Beschäftigungsquote hat sich in Deutschland im September sogar leicht erhöht. Dies trifft auch für die USA zu. Im Fall einer Rezession sollte die Arbeitslosigkeit nicht das große Problem werden, was den Konsum trotz Inflation und teurer Energie wenigstens einigermaßen stützen könnte. Der Fachkräftemangel dürfte sich vorübergehend etwas entspannen.
Allgemein:
- Wer langfristig in Aktien investiert (und damit ist nicht der Spekulant und Trader gemeint) muss zwangsläufig eine positive Grundeinstellung mitbringen und an einen guten Ausgang der Dinge glauben. Er muss davon überzeugt sein, dass sich Probleme lösen lassen und dass gute, anpassungsfähige und erfolgreiche Unternehmen und deren Investoren davon profitieren.
- Je weiter die Kurse fallen, desto mehr sinkt auch das Risiko. Klingt zunächst unlogisch, ist aber plausibel. D.h. die Fallhöhe wird geringer, je weiter sich die Kurse ihrem Boden nähern. Da spielt Psychologie eine wesentliche Rolle. Also bitte hier Emotionen nach Möglichkeit ausschalten und mit nüchternem Blick auf die Dinge schauen. Konkret: Sparpläne durchziehen, ggf. bei weiter gefallenen Kursen sogar an Zuzahlungen in die Depots denken.
- Auch wenn die aktuelle Situation besonders ist: Zyklen sind normal in der Wirtschaft. Ein Boom ist genauso wenig endlos, wie eine Rezession. Letztere bereinigt die ein oder andere Fehlentwicklung.